szene 23

despair ist ein violetter faden und ich trage fusseln davon als pullover. anxiety ist ein stahldraht, der sich in spiralen durch den körper bohrt. an manchmalstagen ist friendship weiße zuckerwatte, an anderen übergebe ich mich

guilt ist ein moor, in dem ich wate und wenn ich stolpere, darin untergehe. love ist eine durchsichtige ranke, die ich nicht sehen kann, wenn sie voller fusseln ist oder voll schlamm. dann wird ich liebe dich eine last, ein schlag

Steinblumenmädchen (auszug)

Unter seiner Haut wachsen Blumen aus dem Nichts, fasrig in die Höhe, ziehen sich auseinander, entfalten sich, behutsam, zu Blüten aus Federn, die in allen Tönen leuchten. Sie sind so verletzlich, dass Blicke reichen, um ihnen weh zu tun. Unter seiner Haut ist ein Gebirge, von dem Steinschlag droht. Es kann nie sagen, wann sich Brocken lösen. Es kann nicht verhindern, dass die Steine die Blumen treffen und Krater in ihm entstehen. Es schwindelt ihm, wenn sich eine neue Welle löst. Unter seiner Haut ist das Mädchen in sich selbst gefangen.

An seinen ersten Steinschlag kann sich das Mädchen, wir wollen es Lisa nennen, noch gut erinnern. Es war spät am Abend, sie hätte eigentlich schon schlafen sollen, aber es waren Gäste zu Besuch. Es war laut im Wohnzimmer, durch einen Spalt fiel Licht in das Schlafzimmer der Eltern, in deren Bett sie lag, sie konnte die Stimmen gedämpft hören. Ihre Mutter hatte ihr zwar vorgelesen, aber Lisa war nicht eingeschlafen. Sie hatte ein Gefühl entdeckt, das sie noch nicht kannte. Es breitete sich über sie aus und machte ihren Körper innen taub und ihre Haut außen schmerzend. In ihrem Kopf blühte und verrottete ein einziger Satz. Ich werde sterben. Ihr Atmen wurde ein Ersticken, sie spürte sich im Bett einsinken unter ihre Haut, wo Steine Blumen zerstörten. Das Aufeinanderprallen von weich / HART / leise / LAUT / langsam / SCHNELL / sanft / BRUTAL in ihr zerriss sie.

ersetzungsträume

Etwas, das FARBEN auflöst, zb lesen, uns als farbverlaufen denken, uns als TEXT, in den du dich fallen lassen könntest, sofern die Sprache nicht hält, vielleicht in meinen Flüchtigkeitsfehlern, in einem Leerzeichen zuviel, in einem vergessenen S. (ein unbetretener Ort, Vorsicht ROT!), ich will uns verblassen sehen, auf dem Papier, ich will diesen Fall, aber absichtslos, ich will ihn nicht auslösen, Verfärbungen ohne Ursache, ich will ihn ENDLOS und als WALD, ohne Entfernungen, mit wuchernden Geschichten, etwas, das über geht. 

Stell dir vor,
ich schreibe dir als Unbekannte, eine Liebende, 
du hast sie noch nicht verschwinden sehen, 
nicht ihren Schmerz ihn dir, 
stell dir vor,
ICH SCHREIBE UNS FORT.

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Ich träume, wir treffen uns am Meer, ich kann den Sand unter meinen Füßen, ich kann das Wasser fühlen, ich will uns, aber. Du bist nicht greifbar DEIN KÖRPER IST KEINE VORSTELLUNG da sind nur deine Wörter, mein Kopf EIN ABGRUND unsere Nachrichten, ein zu weit gehen, ein fallen, ich schreibe, this is for you, der Traum oder der Sand oder ich, es geht ums FALLEN lassen oder FALLEN gelassen werden, ich schreibe, ich werde dich erst lieben, wenn du mich abwertest, inventarisiert, wenn du mich verletzt, wenn du mich ersetzt.

Das Meer könnte mein Kleid sein, es könnte schimmern im Mondlicht, es könnte sich samtig anfühlen auf meiner Haut, es könnte sich wellenartig bewegen, wenn ich mich drehe für dich; wenn ich mich so schnell, dass du nicht sehen kannst, ob ich das bin oder das Meer; oder wenn ich mich so schnell, dass da kein Unterschied mehr ist, zwischen dem Wasser und mir, ich wollte immer untertauchen, ich wollte immer untergehen, ich hatte keine Schwierigkeiten, zu träumen unter Wasser zu sein, mich aufzulösen, nur mit dem Leben über Grund, nur mit dem Sand.

Ich schreibe NÄHE in den SAND, ich schreibe SAND in die NÄHE, 
ich verbinde den TEXT mit dir, 
in 3 Schichten,
darunter 
etwas, das weh tut, 
etwas, das auftreibt.

[Auszug aus Ersetzungsträume 2020]

uns ohne fäden

Ich habe keine Vorstellungen, mehr. Wenn er mich hält, kann ich davon nicht sprechen. Kann ich überhaupt, sprechen? Er kann Sätze, zu mir, sagen, wie „Ich will dich, ganz genau ansehen, weil wir uns solange nicht sehen, ich muss mir dein Gesicht einprägen“ oder „Das Baby im Arm steht dir gut“. Er kann diese Sätze so sagen, dass sie nicht nur Floskeln sind, sondern tatsächlich stimmen. Ich kann sie mir nicht einmal vorstellen, aber ich würde gerne darauf vertrauen, dass er genügend Vorstellungen, genügend Sätze für uns beide hat.

Ich habe nur Enden im Körper, Enden im Kopf, enden ist in mich eingeschrieben. Wenn er mich trägt, kann ich es kaum glauben, weil ich zu schwer bin. Er ist der einzige, der mich einfach so hochhebt, so, als könne er meine Schwere nicht spüren. Oder als könne er sie ertragen. Keiner vor ihm konnte das. Nur spreche ich das nicht aus, es wäre eine leere Phrase, aus meinem Mund. Außerdem will er keine Vergleiche, mit den anderen, er will von meinem Leben, von meinen Gefühlen, von mir vor ihm nicht wissen. Das würde er nicht aushalten, meint er.

Ich habe, aber anstelle von „ich“, könnte ich von „uns“ sprechen, sollte ich „wir“ schreiben: Wir haben keine Schuhbänder, keine Ladekabel, keine Gürtel, mehr, alle Fäden sind weg oder gerissen. Ich zeichne die Leerstellen ROT an, mit Ölkreide. Meine verschmierten Hände, die Spuren in meinem Gesicht, wische ich an ihm ab, drücke mein Gesicht gegen ihn bis, uns, gibt es, weil er und ich wissen, was es bedeutet, keinen Verlauf zu haben. Was es heißt, nicht mehr zu können und dann „trotzdem“ zu sagen. Uns können wir malen, weil es ihn und mich noch gibt.

[das ist nicht mehr als eine skizze, teil von selbstmörderinnen auf urlaub (arbeitstitel)]

nicht so SEIN

ich bin     noch immer zu    aufgewühlt
ich bin     noch immer zu    emotional
ich bin     noch immer zu    kompliziert
ich bin     noch immer zu    HYSTERISCH

(in jedem MÄNNLICHEN
blick, in jedem)

ich will ein SCHRILLER
nicht zu ertragender
TON werden, der
eure wörter,
gedanken
& werke
SPRENGEN
wird

(HYSTERIKERIN
nur mehr als positive
selbstbezeichnung)

fassadengefühle

heute in rot, ich überschminke vorstellungen,
um zu scheinen,
sicherheitsnadeln zum gedanken aneinanderheften
oder zum zustechen, was weißt du von
meinem fehlendem hunger, was weißt du vom
fehlen in mir :
ein phantomaber, gedankenflecken,
die nie mehr rausgehen,
auch nicht mit wasserstoff auf der kopfhaut
unter der kopfhaut: inselsterben,
symptomlose einsamkeit,
ich weiß, du nennst das alles
noch immer liebe

[teil von mein kopf will ohne mich sein, abwesenheitsnotizen, schreiben 2019.]

solange der himmel hell ist

der mohn ist so hoch geworden, dass sie nichts sieht. dann wacht sie auf und denkt, sie will aufwachen. im zimmer riecht es nach ihren moderträumen, sie reißt das fenster auf, es ist immer dunkel, wenn sie aufsteht. sie versinkt im haus, weil es viel zu groß für sie allein ist, sie hält sich nur in ihrem schlafzimmer auf, geht von dort zur küche, zum bad und zurück, aber diese räume gehören nicht ihr, sie kann sie nicht für sich einnehmen. das sind fremde oberflächen, in denen sie in farblosigkeit getaucht spiegelt, von den hergottswinkeln blickt der gekreuzigte auf sie, aus den bilderrahmen lächelt auf berggipfeln, auf familienfeiern der tod, die schubladen klemmen, auf der couch ist ein fleck, von dem sie nicht genau weiß, wodurch er entstanden und wie sie ihn rausbekommen soll. das haus ist ein tag nach dem tod, das haus lauert auch auf ihren abschied, das haus ist kein ort und es ist kein zuhause mehr für sie, aber sie ist hier, um zu sagen: „ich bin zurückgekehrt“ und sie trinkt einen schluck wasser für den morgen. sie ist gekommen, um zur brücke zu gehen.

das rauschen des wassers hat sie schon in den ohren, als sie aufbricht. früher war die brücke ihr zufluchtsort, an dem sie als kind kreidepläne auf den beton gemalt hatte. sie hatte sich vorgestellt, dass sie nicht auf einer alten brücke aus holz stehen würde, sondern auf einer aus marmor, mit gold verziert; dass der alte kastanienbaum neben der brücke eine trauerweide; dass das wasser sich nicht braun, sondern blau spiegeln würde. dass es eine brücke über das meer wäre und sie im ozeanischen aufgehen könnte. dass die felder nicht voll mais, sondern voll mohn wären. dass es eine zauberbrücke wäre, weil das wasser auf der einen seite ruhig im flußbett liegt, sich auf der anderen seite reißerisch wellt.

über das enden der quellen, das austrocknen der bäche und flüsse, hatte sie einen artikel gelesen, darunter war ein stimmungsvolles schwarz-weiß-foto ihrer zauberbrücke abgebildet gewesen. exemplarisch für eine der brücke, von der sich menschen und tiere in den abgrund stürzen. dass es aber trotzdem nicht erklärbar sei, warum sich auch tiere an spezifischen orten vermehrt umbringen würden. dass schon lange die kapazitäten fehlen würden, die leichen zu beseitigen. danach war der text ins esoterische gekippt, hatte versucht, doch eine ursache zu liefern und brücken als „überzeugende metapher des todes“ bezeichnet, als „dünne orte“ charakterisiert, an denen sich diesseits und jenseits so nahe wären, dass sie lebewesen magisch anzogen und ihre todessehnsucht verstärkten.

es war die erinnerung an diesen ort, wegen der sie beschlossen hatte, zurückzukommen. weil sie es mit eigenen augen sehen wollte, weil es eine möglichkeit war, vor der welt zu fliehen, vor den gefühlt zu langen umarmungen, mit denen man sich voneinander verabschiedete. in jeder berührung konnte sie den sand rieseln hören, während sie einen schritt vor den anderen setzt, knirschen die körner zwischen ihren zähnen. eigentlich müsste sie schon die brücke und den baum erkennen, aber der mohn ist so hoch geworden, dass sie nichts sieht, der himmel zieht zu. ihre beine sacken weg, sie hat keinen grund,

dann wacht sie auf und denkt, sie will aufwachen

Dieser Text findet sich in abgewandelter Form in Entwürfe von mir / von uns.